Absagen von Festivals, Schliessungen von Museen, Theatern und Kino. Die Kunstwelt ist stark von der Corona-Krise betroffen. Vier Kulturschaffende berichten.
Ein Konzertsaal ist keine Bank. Und ein Festival ist nicht gleich wie ein internationales Unternehmen aufgebaut, denn freiwillige Mitarbeiten gehören bei ersterem zur Logistik. Es kommt auch vor, dass kulturelle Institutionen nur von ihrem Einkommen leben, ohne von der finanziellen Unterstützung ihrer Stadt oder Gemeinde profitieren zu können. Der Öffentlichkeit gegenüber wortbrüchig zu werden, ist für diese Branche deshalb tödlich.
Das zeigt die Zerbrechlichkeit dieses Sektors, der seit Anfang März und vor allem nach der Verkündung des Ausnahmezustands durch den Bundesrat, in seinen Grundfesten ins Wanken geraten ist. Die Absagen von Festivals, Schliessung von Museen und der abrupte Abbruch der Theater- und Opernsaison werden von der Künstlergemeinschaft als Schockstarre erlebt.
Die Enttäuschung heute ist zwar gross, doch der Glaube an die Zukunft bleibt. Vier Schweizer Kulturschaffende äussern sich im Interview zu den Auswirkungen der Pandemie auf ihre Institutionen und auf das gesellschaftliche Leben.
Nicolas Stemann, Direktor des Schauspielhaus Zürich
"Theater funktioniert nur gemeinsam. Ein Theaterstück kann nicht ohne die physische Anwesenheit eines Publikums aufgeführt werden. Was ich so bedauere, ist, dass dieses Zusammenleben, das unsere Gesellschaft definiert, im Moment fehlt. Das Schauspielhaus bleibt bis zum 30. April geschlossen. Der finanzielle Verlust ist dramatisch. Wie hoch der genau ausfällt? Das weiss ich noch nicht. Ich kann nur den moralischen Verlust messen.
Eines der programme, das wir für März eingeplant hatten, war "Das Weinen "
Ein Theaterstück von Dieter Roth unter der Regie von Christoph Marthaler aus Zürich. Thema: Isolation. Kulisse: eine Apotheke. Das Stück ist daher direkt mit der gesundheitlichen Aktualität verbunden. Es ist zwar ein Zufall, doch genau der lässt mich glauben, dass Marthaler ein Visionär ist. Ich bin sehr traurig, dass ich das Stück nicht aufführen kann. Aber ich sage mir, es gibt nichts Schlechtes, aus dem nichts Gutes kommt: Vielleicht sensibilisiert diese Krise die Bevölkerung für den Stellenwert des Theaters."
Thierry Jobin, Direktor des Internationalen Filmfestivals Freiburg.
"Die 34. Ausgabe des Festivals, das am 20. März hätte stattfinden sollen, wurde abgesagt. Wir haben uns in letzter Minute dafür entschieden, nur ein Teil des Programms verteilt über das ganze Jahr 2020 zu zeigen. Das ist besser als nichts, aber wir werden daraus dennoch grosse finanzielle Verluste tragen. Das Festival war das erste, das vom Coronavirus betroffen war und ich hoffe, es wird nicht das letzte sein, an das der Staat denkt, wenn das normale Leben wieder aufgenommen wird.
Dennoch hat der Staat erst mit dieser Krise erkannt, wie wertvoll die Harmonie einer Veranstaltung ist: Ein Festival ist wie ein Menü, dessen verschiedene Gerichte aufeinander abgestimmt werden müssen. Es schaut gerade so aus, als müssten wir die Vorspeise erst im Dezember servieren und das Fleisch wird dann nicht von knackigem Gemüse begleitet. Und wenn wir schon beim Kochen sind, dann möchte ich gern hinzufügen, dass wir eine der Rubriken des Festivals
(New Territory ), die dem asiatischen und insbesondere dem afrikanischen Kino gewidmet ist, warmhalten werden.
Ich hoffe, dass im Herbst alles gezeigt werden kann. Ich möchte auf keinen Fall an folgender unserer Missionen scheitern: den Zuschauern Filmemacher aus Ländern vorzustellen, die von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) unterstützt werden. Die Pandemie hat mich gelehrt, dass Kultur für unsere Demokratie unerlässlich ist."
Vincent Baudriller, Direktor des Théâtre de Vidy in Lausanne
"Es gibt etwas Gewaltvolles in dieser plötzlichen Unterbrechung einer Saison. Es ist ein Bruch mit der Gesellschaft. Was ein Theater vorschlägt, ist das Gegenteil von dem, was diese Pandemie hervorbringt, nämlich die Störung der sozialen Beziehungen.
Die Gesundheitskrise alarmiert uns: Sie erzählt die Geschichte der Dysfunktion unserer Welt. Ihre Grössenordnung wird sich in den kommenden Monaten auf die Fantasie der Künstler auswirken.
Ich kenne Bühnenautoren, die sich bereits mit diesem Thema beschäftigen. Krisen sollten als Indikator dienen, um Denk- und Handlungsweisen zu korrigieren. Wenn das Theater wieder eröffnet wird, werden wir zweifellos neue Praktiken einführen. Es wird viele Aspekte zu verwalten geben, einschliesslich finanzieller Fragen. Wie alle anderen auch, verzeichnen wir viele Verluste.
Direkte Verluste mit allen Einnahmen aus unseren Aufführungen. Diese betreffen das Théâtre Vidy-Lausanne, als auch Tourneen im Ausland. Indirekt betroffen sind die kreativen Projekte der nächsten drei oder vier Jahre. Was wird dann sein? Wir werden sehen, was passiert. Im Moment laufen unsere Computer wie Mühlen."
Guillaume Potterat, Koordinator des Cully Jazz Festivals, Waadt
"Im Unterschied zu den abgesagten Filmfestivals werden unsere Aufführungen dieses Jahr nicht in einer alternativen Form stattfinden. Da die von uns geplanten Konzerte nicht wie Filme gestreamt oder als Podcast übertragen werden können, entsprechen diese Mittel nicht unseren Werten und noch weniger den Ansprüchen unseres Publikums. Da haben Sie es also: Für uns ist es finanziell schmerzhaft, zumal die uns zugesprochene staatliche Subvention sehr gering ist.
Diese Krise hat uns jedoch eine schöne Sache entdecken lassen: die Solidarität. Die Menschen in der Region erweisen sich als sehr grosszügig mit uns. Viele unserer Zuschauer wollten ihre Karten nicht zurückerstattet bekommen. Andere haben insgesamt 30’000 Franken gespendet. In Zukunft wird uns die Gemeinschaft wahrscheinlich helfen. Wir haben deshalb grosse Hoffnungen, das Festival im nächsten Jahr durchführen zu können. Die Schweiz ist ein reiches Land, ihre Kultur wird nicht wegen eines Virus untergehen."
Von Ghania Adamo / swissinfo.ch